Lesenswert

Wieder einmal spricht mir Wendelin Haverkamp aus der Seele. Daher empfehle ich die Lektüre seines aktuellen Monatsrückblicks (Quelle: AZ vom 01.10.2019 – Zitat):

DER ENDGÜLTIGE MONATSRÜCKBLICK 01.10.2019

Unsere Umwelt-Pippi und das Wischen ohne Stift

Topereignis der letzten Wochen war zweifellos die perfekte Inszenierung einer Atlantiküberquerung mit dem Arbeitstitel: „Es fährt ein Bötchen nach New York“. Früher hätte die Zeile geheißen: „Es fährt ein Zug nach nirgendwo“, aber mit dem öffentlichen Nahverkehr ist New York leider immer noch nicht zu erreichen. In der Hauptrolle brillierte eine heilige Greta, die am Bug ihres Schiffleins posierend 16-jährig in Manhattan einlief. Schönere Bilder hatten die Agenturen lange nicht.

Genau, ich meine natürlich unsere nordische Umwelt-Pippi oder, wie ein Gast in meiner Stammkneipe scherzte: Gräte Thunfisch. Und ich hab gesagt: „Pass auf, dass das keiner hört, dafür gibt es mindestens zehn Punkte in der Flensburger Umweltsünderkartei und drei Jahre Umerziehungsseminar plus Sprechchor-Training: Messer Gabel Schere Licht, mit dem Klima scherzt man nicht“.

Viel spannender als klimatisierte Seifenopern in New York fand ich persönlich allerdings die turnusgemäße Einschulung einer neuen Generation minderjähriger Umweltaktivisten. Alle Jahre wieder strömen die „I-Dötzchen“ in die Schulen, und zwar in voller digitaler Ausrüstung mit Stöpsel im Ohr, Schmachtphon an der Backe und Finger in der Nase, um nur das Wichtigste zu nennen.

Viele Grundschüler können inzwischen weder Stift noch Schere halten, geschweige denn benutzen, will sagen: Feinmotorik Fehlanzeige. Die Puten kriegen die einfachsten Handgriffe nicht mehr hin, klagen Ergotherapeuthen, in sogenannten bildungsfernen Schichten weise inzwischen jedes zweite Kind solche Defizite auf. Mittlerweile erschöpfe sich die feinmotorische Tätigkeit vieler Kinder darin, mit dem Daumen über das Schmachtfon zu wischen.

Sportlehrer beobachten, dass viele Kinder nicht mal mehr eine Rolle vorwärts hinkriegen. Fahrlehrer berichten, daß immer mehr junge Leute bei der Fahrprüfung durchfallen, weil ihre Fähigkeit, sich Bewegungen von Körpern im Raum vorzustellen, unterentwickelt ist. Was soll man sich auch mit der Realität auseinandersetzen, wenn man stets eine Maus zur Hand hat? Und die Sprache? Rechtschreibung ist den meisten sowieso Hupe, und wo soll logisches Denken herkommen, wenn der Satzbau qualmend zusammenbricht.

Sind wir noch bei Sinnen? Was lassen wir da zu? Glaubt noch irgend jemand, das hätte nichts mit der Digitalisierung zu tun? Mit der Gängelung durch Apps und Suchmaschinen, der Reduktion von Kommunikation auf Sprachkrümel in asozialen Medien? Die Digitalisierung ist eine hilfreiche Technik nur da, wo sie im Dienst der Menschen steht. Das ist hier aber eindeutig nicht der Fall. Wer schützt unsere Kinder vor den Auswirkungen einer durchkommerzialisierten, ungehemmten digitalen Verpestung? Die natürlichen Anlagen, die sie besitzen, um sich in der Welt zu orientieren und ihre eigene Persönlichkeit herauszubilden, werden verödet, quasi „denaturiert“ – nur damit ein paar Milliardäre ein paar Milliarden mehr verdienen?

Wissen wird ausgelagert, man kann es angeblich ja jederzeit abrufen. Wenn man es aber nicht mehr selber speichert, sagen Neurobiologen, schrumpft das menschliche Arbeitsgedächtnis und man verliert die Fähigkeit, komplexe Probleme zu durchdenken. Und Experten vom Leibniz-Institut in Tübingen warnen, wer ständig am Bildschirm aktiv sei, dem falle es immer schwerer, sich zu konzentrieren. Macht nix, in Zukunft entwickelt die „künstliche Intelligenz“ für die „natürlich Doofen“ Denkergänzungsprogramme. Nur kurz mal was andenken, schwupp! Hat das Schmachtfon die Sache schon zuende gedacht.

Die IT-Industrie hat es mit ihrer unglaublichen Macht und Präsenz geschafft, der Öffentlichkeit und der Politik einzuimpfen, dass die Zukunft unserer Gesellschaft ausschließlich von der Förderung der Digitalisierung abhängt. Woraufhin die Regierungen begeistert Milliarde um Milliarde auf die Konten der IT-Konzerne schieben. So soll zum Beispiel bald jeder Schüler vom Staat einen Laptop kriegen. Anschließend setzen wir den Kleinen vermutlich VR-Brillen auf und lassen sie zuhause unterrichten: Per Digitalpädagogik. Den Lehrplan erstellen Fratzebuk und Jutjup. Auf dass in Zukunft alle Schüler lernen, wie man Laptop richtig schreibt: Ob mit einem „b“ – oder doch mit zwei? Adieda! (Zitatende)

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