Spricht mir wieder aus der Seele…

Wendelin Haverkamps „Endgültiger Monatsrückblick“ in der heutigen Ausgabe der Aachener Zeitung bringt es wieder auf den Punkt:

„Milchmädchenrechnung und Kakaobubenkalkulation

Seit es Menschen gibt, wird verkündet, dass die Welt untergeht. Neu ist die Lautstärke, mit der es täglich geschieht. Auf der einen Seite stehen „Klimaaktivisten“, das sind die Guten, denn sie treten für die herrschende Meinung ein, die besagt: Wenn wir nicht dieses tun und jenes lassen, geht die Welt unter. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die diese Folgerungen mit Skepsis betrachten. Das sind die sogenannten „Klimaleugner“, was die Rote Karte und den Ausschluss vom Feld der öffentlichen Meinung nach sich zieht.

Was aber bedeutet dieses Wort eigentlich? Hinter dem biblisch aufgeladenen „Leugnen“ verbirgt sich als Subtext kein geringerer als Petrus; der tat mir schon im Kommellejuensunterricht leid.
Dreimal wird er gefragt, ob er was mit diesem Jesus und seinen Leuten zu tun hat: „Du bist bestimmt auch einer von ihnen“, sagen die Umstehenden, und dreimal
„leugnet“ er. Worauf sich auch noch ein Hahn zu Wort meldet, aber den lassen wir jetzt mal
am Bühnenrand vor sich hin krähen.

Entscheidend ist die Schuld, die Petrus vom Evangelisten zugesprochen wird. Denn er sagt nicht irgendeine Unwahrheit, es ist viel schlimmer: Er leugnet Gott. Indem man nun das Wort „Leugnen“ an den Begriff „Klima“ koppelt, wird die Behandlung des Themas „religiosifiziert“; an die Stelle des geleugneten Gottes tritt das Klima. Analog zu Petrus wird der „Klimaleugner“ zum gottlosen Sünder, der die quasi göttliche Offenbarung des Weltuntergangs leugnet. An dieser Stelle wird es Zeit für ein Zitat: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen“, schrieb Voltaire. Dieser Satz ist ein Basissatz der Demokratie.

Nun heißt es auf Demonstrationen häufig: „Folgt der Wissenschaft!“ Das klingt so, als bestünde „Wissenschaft“ aus feststehenden Wahrheiten, denen man einfach folgen muss, und alles ist gut. Doch das ist eine Milchmädchenrechnung, gegendert eine Kakaobubenkalkulation. Wissenschaft ist keine Sammlung endgültiger Ergebnisse, sondern ein Prozess, ist permanentes Bemühen um den Zugewinn von Erkenntnis, ist der planmäßige Umgang mit Irrtümern und kann nur im selbstkritischen Abarbeiten von Widersprüchen Fortschritte machen. Wer also aufruft, der Wissenschaft zu folgen, muss Interesse da¡ran haben, dass dort alle Stimmen zu Wort kommen, sonst handelt er wissenschaftsfeindlich. Soviel zur „cancel culture“, der aktuellen Pestbeule im Wissenschaftsbetrieb.

Dass ein Wandel des Klimas stattfindet, lässt sich empirisch mit ausreichender Sicherheit feststellen. Wie viel davon menschengemacht ist, ist viel schwerer zu bestimmen. Warum überhaupt ist das so wichtig? Antwort: Weil der Mensch glaubt, dass er, wenn er etwas verursacht hat, auch imstande ist, es zu stoppen.

Wäre der Klimawandel durch „übergeordnete“ Kräfte verursacht, (Vulkane, Erdbeben,
Asteroiden), wäre der Mensch seinem Schicksal ausgeliefert. Das widerspräche jedoch seinem Selbstverständnis, der Herr der Welt zu sein.

Es ist kontraproduktiv, wenn seriöse Überlegungen als „Leugnen“ diffamiert werden, weil sie von der herrschenden Meinung abweichen. Mal ein Beispiel: Im Jahr 1600 gab es grob geschätzt etwa 500 Millionen Menschen, 1800 eine Milliarde, 2000 über sechs Milliarden und so fort. Der Planet kann eine solche Masse an Menschenwesen aber so wenig ertragen wie ein Kornfeld Millionen Heuschrecken, und diese Masse ist eindeutig menschengemacht. Was bedeutet: Selbst wenn es gelingt, den Temperaturanstieg zu bremsen, zugleich aber die Summe der Menschen auf neun oder mehr Milliarden klettert, sind alle Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Muss man darüber nicht auch mal reden?

Der nächste Klimagipfel steht an. Wir brauchen kühle Köpfe, vernünftigen Realismus, Mut und neue Ideen und keine aggressive Intoleranz. „Nichts ist schwerer und erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!“ Sagt Tucholsky. Und was haben Voltaire und Tucholsky gemeinsam? Genau. Sie hatten beide recht, und sie kannten beide keine asozialen Hetzwerke.

Adieda!“

Quelle: Aachener Zeitung, 30.09.2021, Seite 10

 

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